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10.11.2025

Dr. Udo Windhövel: Bodenspachtelmassen – wie sie wurden, was sie sind

Bodenspachtelmassen gehören zu den unentbehrlichen Helfern des Bodenhandwerks. Sie sorgen für glatte, verlegereife Untergründe, gleichen Unebenheiten aus und bilden die Grundlage für dauerhaft schöne Beläge. Auf der diesjährigen 38. Fachtagung der Technischen Kommission Bauklebstoffe (TKB) gab Referent Dr. Udo Windhövel einen ausführlichen Überblick zu diesem unverzichtbaren Bauteil einer fachgerechten Fußbodenkonstruktion.

„Die Anerkennung von Bodenspachtelmassen als eigenständige Produktgruppe ist bis heute umstritten – vor allem bei Teilen der Estrichbranche, wo man sie lieber den Estrichen zurechnet. Dabei sind die Unterschiede deutlich und fachlich längst dokumentiert“, findet Dr. Udo Windhövel, scheidender Normenexperte des Industrieverbands Klebstoffe (IVK) und Mitbegründer der Gemeinschaft Emissionskontrollierte Verlegewerkstoffe, Klebstoffe und Bauprodukte (GEV). Sein Fachbeitrag beleuchtet den Ursprung, die Entwicklung, die Bedeutung und die Abgrenzung von Bodenspachtelmassen gegenüber Estrichen – unter besonderer Berücksichtigung der neuen DIN 53298-1 „Bodenspachtelmassen – Technische Beschreibung und Verarbeitung“.

1. Was sind Bodenspachtelmassen?

Moderne Bodenspachtelmassen sind Spezialprodukte mit enormer Vielseitigkeit. Sie bestehen ganz überwiegend aus mineralischen Bindemitteln (Zement oder Calciumsulfat), ausgewählten Füllstoffen, Polymeren und einer Vielzahl chemischer Additive. Damit zählen sie zu den komplexesten Produkten der Bauchemie – sogenannte Trockenmörtelchemie, die ausschließlich industriell als Werktrockenmörtel hergestellt werden.

Eine erste Definition findet sich in der Europäischen Norm EN 12466:1998; danach handelt es sich bei einer Spachtelmasse um „eine Masse, die auf einen Untergrund aufgebracht wird, um eine glatte, ebene Oberfläche zur Aufnahme eines Bodenbelags zu schaffen“. In der Praxis dienen sie zur Egalisierung, Nivellierung und Vorbereitung unterschiedlichster Untergründe – im Neubau wie in der Sanierung.

Während einfache Estriche häufig vor Ort gemischt und mehrere Zentimeter dick eingebaut werden, arbeiten Verarbeiter mit Spachtelmassen in deutlich geringeren Schichtdicken – vielfach im Bereich von 1 bis 3 mm. Die genaue Einstellung von Fließverhalten, Abbindezeit und Belegbarkeit erfordert detaillierte Rezepturkenntnis – ein klassischer Estrich ist damit nicht vergleichbar.

2. Wirtschaftliche Bedeutung

Auch wenn Estrichmörtel mit rund 7 Mio. Tonnen jährlich mengenmäßig den Großteil der Bodensysteme ausmachen, haben Bodenspachtelmassen wirtschaftlich gesehen ein ähnlich hohes Gewicht. Bei nur ca. 300.000 Tonnen pro Jahr liegt ihr Marktwert fast auf dem Niveau der Estriche – das Verhältnis wird bei zementären Massen mit 3:2 zugunsten der Spachtelmassen angegeben. Grund dafür ist die hochwertige Zusammensetzung, der hohe Polymeranteil sowie der hohe technische Anspruch an die Produkte.

Die großen Unterschiede in der Wertigkeit von Estrichen und Bodenspachtelmassen resultiert natürlich aus den sehr unterschiedlichen Rezepturen, die sich ihrerseits aus den völlig unterschiedlichen Anforderungen an lasttragende Estriche und den meist nur millimeterdicken Spachtelschichten ergeben. Komplex zusammengesetzte Bodenspachtelmassen beinhalten im Unterschied zu Estrichen einen hohen Anteil an hochwertigen Kunststoffen sowie zum Teil sehr teure Additive, die in kleinen Mengen mit großer Wirkung eingesetzt werden.

3. Blick in die Geschichte

Der Wunsch nach glatten Böden ist fast so alt wie das Bauen selbst. Bereits in der Frühzeit wurde Lehm gestampft, Ziegel gebrannt oder Natursteine eingeebnet. In der Antike gab es erste Mörtelbeläge, später entwickelte sich Linoleum (1861), Gummi (1936) und PVC (ab 1938). Mit der Industrialisierung dieser elastischen Bodenbeläge stiegen die Anforderungen an die Ebenheit der Untergründe – und damit an die Spachtelmassen.

Die Produktentwicklung war eng gekoppelt an Fortschritte bei den Klebstoffen: von Bitumenklebern über lösemittelhaltige Kunstharze bis zu modernen Dispersions- und Reaktionsharzklebstoffen. Gleichzeitig stiegen die Anforderungen an Emissionsverhalten, Verarbeitungszeit, Verlauf und Schleifbarkeit. Heute ermöglichen zementbasierte Spachtelmassen sogar optisch anspruchsvollste fugenlose Oberflächen – sogenannte Spachtel- oder Designböden.

4. Unterschiede in Europa

Die Bedeutung von Spachtelmassen ist regional sehr unterschiedlich. In Südeuropa (klassische Länder für keramische Fliesen bzw. Naturstein) dominieren Klebemörtel als Verlegewerkstoffe. In Skandinavien sind es 1 bis 3 cm dicke Ausgleichsmassen, die eher als Dünnestriche einzuordnen sind. Frankreich arbeitet mit einem rigiden Klassensystem für die Auswahl von Spachtelmassen (P1 bis P4), das den Innovationsspielraum einschränkt. In Großbritannien werden einfache Glättmörtel verwendet, oft mit Latex angerührt. Eine europaweit harmonisierte Anforderungsnorm für Bodenspachtelmassen existiert deshalb bis heute nicht – nur deren einheitliche Prüfung wird über unterschiedliche Prüfnormen wie z. B. EN 13892 oder EN 13872 geregelt.

5. CE-Kennzeichnung und EN 13813

Obwohl keine Harmonisierung vorliegt, tragen viele Spachtelmassen ein CE-Zeichen nach EN 13813 (für Estrichmörtel). Möglich ist das, weil die Rezepturen strukturell ähnlich und die Prüfanforderungen damit auch für Spachtelmassen anwendbar sind. In vielen EU-Staaten, etwa Polen, wurde beim EU-Beitritt ein Konformitätsnachweis für Bauprodukte verlangt. Deutsche Hersteller passten sich dem über die Kennzeichnung nach der Estrichnorm an, um marktkonform lieferfähig zu bleiben.

Die CE-Kennzeichnung bedeutet jedoch nicht, dass Spachtelmassen automatisch Estriche sind. Denn die grundlegende Begriffsnorm für Estriche, die EN 13318 definiert ganz klar: Spachtelmassen dienen zur Herstellung von Spachtelschichten – und sind damit von Estrichen zu unterscheiden. Diese Differenzierung ist essenziell für das Verständnis und die richtige Anwendung in der Praxis.

6. Die neue DIN 53298-1 Bodenspachtelmassen

Die seit 2025 geltende Norm DIN 53298-1 („Bodenspachtelmassen – Technische Beschreibung und Verarbeitung“) schafft erstmals eine klare nationale Grundlage: Sie grenzt Spachtelmassen normativ von Estrichen ab und definiert ihre technischen Eigenschaften, Einsatzbereiche und Prüfmethoden. Wichtige Festlegungen betreffen:

- Grundierungspflicht vor dem Spachteln
- Bindemittelanteil als Namensgeber (Zement- oder Calciumsulfatbasis)
- Verarbeitungszeit: Muss ausreichen für ansatzfreie Flächen
- Fließfähigkeit: Spachtelmassen verlaufen nicht von allein, sondern müssen verteilt werden
- Belegbarkeit: Eigener Begriff anstelle von Belegreife, da CM-Feuchtemessung nicht anwendbar ist
- Schichtdicke: Innerhalb einer Fläche sind unterschiedliche Dicken zwangsläufig/zulässig
- Schwind-/Quellverhalten: Prüfung nach Spachtelmassennorm EN 13872, nicht nach Estrichnorm EN 13892-9
- Saugfähigkeit: Wichtige Eigenschaft für Klebstoffverträglichkeit
- Emissionen: Grenzwerte für VOCs erstmals spezifiziert

All diese Merkmale unterscheiden sich grundlegend von DIN 18560 („Estriche im Bauwesen“) und bestätigen insoweit: Spachtelmassen sind ein anderes Gewerk.

7. Was unterscheidet Spachtelmassen von Estrichen?

Wesentliche Unterschiede zwischen Bodenspachtelmassen und Estrichen sind in Bezug auf die Dicke, die Belegreife und den Feuchtegehalt gegeben. Ein Estrich muss in jeder Schicht hinsichtlich Dicke möglichst gleichmäßig sein. Bei Spachtelschichten ist das bestimmungsgemäß nicht der Fall.

Der Begriff Belegreife ist für Spachtelmassen gar nicht sinnvoll anwendbar. In der DIN 53298-1 wird daher auch von „Belegbarkeit“ mit einem Bodenbelag gesprochen und nicht von „Belegreife“. Die Wartezeit bis zur Belegbarkeit von Spachtelschichten hängt charakteristisch von ihrer Art und der Zusammensetzung ab. Sie wird entscheidend bestimmt von der chemischen oder kristallinen Wasserbindung, gegebenenfalls von der physikalischen Trocknung und einer ausreichenden Festigkeit. Während für Estriche der Feuchtezustand das ausschlaggebende Kriterium zur Beurteilung der Belegreife ist, lässt sich bei Spachtelmassen daraus allein noch kein Rückschluss auf die Belegbarkeit mit einem Bodenbelag ziehen. Eine Bestimmung des Feuchtegehalts (CM-Prüfung) oder Feuchtezustands (KRL) ist deshalb nutzlos. Spachtelschichten müssen nach dem Erreichen ihrer Belegbarkeit zeitnah (innerhalb weniger Tage) belegt werden. Für Estriche gilt diese Vorgabe nicht.

Das Schwind- und Quellverhalten von Bodenspachtelmassen wird nach der auf Spachtelmassen ausgerichteten Norm DIN EN 13872 bestimmt und nicht nach der DIN EN 13892-9 für Estrichmörtel. Der Hersteller von Spachtelmassen muss Angaben dazu machen, auf welchen Untergründen und in welchem Schichtdickenbereich eine Bodenspachtelmasse verwendet werden darf. Soweit zu der Notwendigkeit der neuen DIN 53298-1, ihren Inhalten und zu den markanten Unterschieden im Vergleich zur Estrichnorm DIN 18560.

8. Streitpunkt Normung –
und was das Handwerk wissen muss


Die Einführung der DIN 53298-1 war alles andere als geräuschlos. Fast 300 Einsprüche – alle aus der Estrichbranche – verzögerten die Veröffentlichung. Dabei waren viele der Kritiker selbst am Entwurf beteiligt. Die Kontroverse dreht sich nicht nur um Technik, sondern auch um Zuständigkeiten: Wer darf was verarbeiten – und wer muss dafür Sozialabgaben leisten? Denn: Sollte das Spachteln als Estricharbeiten eingestuft werden, wären Boden- und Parkettleger SOKA-Bau-pflichtig. Das hätte weitreichende Folgen für die Handwerksbetriebe – finanziell wie organisatorisch. Die SOKA-Bau ist die Sozialkasse der Bauwirtschaft. Sie ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifparteien der Bauwirtschaft in Deutschland und besteht aus der Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft (ULAK) und der Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes AG (ZVK).

Der Bundesinnungsmeister des Bundesverbandes Parkett und Fußbodentechnik (BVPF) Manfred Weber brachte es beim TKB-Branchengespräch, zitiert in FussbodenTechnik-Ausgabe 6/2024, Seite 40, auf den Punkt: „Wenn Spachtelmassen zukünftig den Estrichen zugeordnet würden, dann würde das Bodenhandwerk für eine alltägliche Tätigkeit plötzlich SOKA-pflichtig – mit immensen Kosten.“

9. Fazit: Neue Spachtelmassennorm gibt Sicherheit

Bodenspachtelmassen sind eigenständige, hochentwickelte Produkte. Sie sind ein unverzichtbares Bauteil des Bodenlegers und haben sich seit Jahrzehnten bewährt. Ihre technisch klare Abgrenzung von Estrichen ist längst überfällig – und mit der DIN 53298-1 nun normativ vollzogen. Für Hersteller, Planer, Handel und Handwerk schafft die Spachtelmassennorm Sicherheit – in der Verarbeitung, bei Ausschreibungen und in rechtlichen Fragen. Die Botschaft ist klar: Bodenspachtelmassen sind keine Estriche – und das ist auch gut so.

EN-Prüfnormen für Bodenspachtelmassen

- DIN EN 1937:1999, Prüfverfahren für hydraulisch erhärtende Boden-Spachtelmassen - Standardmischverfahren
- DIN EN 12706: 1999, Klebstoffe - Prüfverfahren für hydraulisch erhärtende Boden-Spachtelmassen - Bestimmung des Fließverhaltens
- DIN EN 13408:2002, Prüfverfahren für hydraulisch erhärtende Boden-Spachtelmassen - Bestimmung der Haftzugfestigkeit
- DIN EN 13409:2004, Prüfverfahren für hydraulisch erhärtende Boden-Spachtelmassen - Bestimmung der Abbindezeit
- DIN EN 13872:2004, Prüfverfahren für Boden-Spachtelmassen - Bestimmung der Schrumpfung

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 Dr. Udo Windhövel: Bodenspachtelmassen – wie sie wurden, was sie sind
Foto/Grafik: PI Augsburg
Bodenspachtelmassen sind eigenständige, hochentwickelte Produkte. Sie sind ein unverzichtbares Bauteil des Bodenlegers. Das Foto zeigt den Einbau der faserarmierten Spachtelmasse PCI Periplan Extra.
 Dr. Udo Windhövel: Bodenspachtelmassen – wie sie wurden, was sie sind
Foto/Grafik: SN-Verlag
Dr. Udo Windhövel, scheidender Normenexperte des Industrieverbands Klebstoffe (IVK) und Mitbegründer der Gemeinschaft Emissionskontrollierte Verlegewerkstoffe, Klebstoffe und Bauprodukte (GEV), bei der 38. TKB-Fachtagung in Köln. Dort hielt er den Vortrag, den FussbodenTechnik als Fachbeitrag an dieser Stelle veröffentlicht.
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Foto/Grafik: R. Zurbriggen Trockenmörtel: Highlights und innovative Lösungen“
Typische Bestandteile einer Spachtelmassen-Rezeptur.
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Foto/Grafik: Uzin
Beispiel für eine standfeste Spachtelmasse: Uzin NC 182 Neu.
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Foto/Grafik: R. Zurbriggen Trockenmörtel: Highlights und innovative Lösungen“
Verschiedene Trockenmörtel im Vergleich.
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Foto/Grafik: Murexin
Die Nivelliermasse Murexin FZ 100 eignet sich für stark unebene Böden.
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Foto/Grafik: Dr. Windhövel
Historische Entwicklung von Bodenspachtelmassen von 1920 bis heute.
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Foto/Grafik: Stauf
Damit die Spachtelmasse perfekt verläuft, muss der Untergrund optimal vorbereitet werden. Das Foto zeigt die Verarbeitung von Stauf XP 20.
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Foto/Grafik: Mapei
Zementgebundene standfeste Spachtelmassen punkten mit einer hohen Festigkeit und schnellen Trocknung – wie hier Planipatch von Mapei, angemischt mit der elastifizierenden Dispersion Latex Plus.
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Foto/Grafik: IVK
Vergleich der Absatzentwicklung von Zement- und Gipsspachtelmassen
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